Die Longo Wundertüte: Laufen
Laufen. Die kleine Wundertüte der Saison nachdem es im Januar richtig gut lief, ich im Februar ein dickes Knie hatte und es danach wieder langsam Bergauf ging. In Summe hatte ich etwas mehr als 1500km vor dem Marathon in Estland, auch deutlich mehr Long Runs und qualitativ wirklich gute Laufsessions als noch vor Roth 2017. Trotzdem war es für meinen Coach und mich die Wundertüte, wie die letzten 10 bis 15 Kilometer von meinem Körper weggesteckt werden. Das der Lauf hart wird, war klar. Dass die Oberschenkel und Waden müde und schwer werden auch, aber wie weit es mich tragen kann, war das größte Fragezeichen vor dem Wettkampf.
Entsprechend, wie in den vorherigen Blogs geschrieben, hatten wir auch eine Laufstrategie für die 42 Kilometer zurechtgelegt. Die ersten zwei Runden sollte ich mein Tempo laufen, keine Abstände sollten die Pace beeinträchtigen und ich sollte „meinen Stiefel“ laufen. Der Stiefel war in dem Fall der Alphafly.
Exakt im Zeitplan
Ich bin nach 5:30h aus der Wechselzone gelaufen und war damit perfekt im Zeitplan. Das vorher gesteckte Ziel von 8:30 war „nur noch“ 42 Kilometer weg. Also fast nur 42 Kilometer. Als ich den Wendepunkt gesehen habe und die Beschilderung auf der Strecke, war mir fast klar, dass es mehr werden wird. Denn auf der Karte im Athleten-Guide war dieser deutlich früher eingezeichnet. Und da ich ich bin, habe ich die Route auf Komoot so nachgebaut. Das Ergebnis waren 10.4km pro Runde und damit 42km mit Wechselzone und Zieleinlauf. Aber so abgesteckt war der Wendepunkt pro Runde knapp 100m weiter. Am Ende des Laufs hatte ich und einige andere auf Strava 43 Kilometer stehen. Egal. Ob 42 oder 43. Am Ende tut es ab KM 28 gleich weh und das mehr macht den Braten nicht fett.
Der Spaß begann und zum ersten Mal diese Saison bin ich wirklich zu schnell losgelaufen. Die ersten 3km waren unter 4 Minuten; trotz einem Anstieg auf die große Hauptstraße. Vier Runden vom „Hafen Noblesser“ über das Stalin Olympia Gebäude „Linnahall“ zum Segeln (Side Fact: Die Segelwettbewerbe der damaligen Olympischen Spiele von 1980 in Moskau statt. Jetzt ist es ein Betonklotz in der Landschaft.) und dann an die Innenstadt hin und wieder zurück. Die ausgeschriebenen 25 Höhenmeter pro Runde kamen ganz gut hin. Tendenziell würde ich sogar sagen, dass es etwas mehr gewesen sind. Aber das hat der Abwechslung auf der Laufstrecke gutgetan.
Die Helfer machen Stimmung
Jetzt zu meiner Laufperformance. Als erster bei einem Ironman nach 180km allein im Regen freut man sich auf die Laufstrecke. Die ersten Meter war nichts los. Erst nach zwei Kilometern ging die Post an der ersten Verpflegungsstation ab. Die Helfer standen im Regen und haben da den ganzen Nachmittag für gute Stimmung und Verpflegung gesorgt. Das hat den dritten Kilometer sicher auch etwas schneller gemacht als er sein sollte. Erst ab Kilometer vier, beim ersten wirklichen Anstieg habe ich die Pace auf 4.10 eingependelt bekommen. Ab dann ging es bis auf den sechsten und 16. Kilometer perfekt vom Pacing. Kilometer sechs war ich nochmal kurz auf dem Klo, um mehr Gewicht los zu werden und Kilometer 16. habe ich meine Special Needs Gels genommen.
Runde für Runde bis zum Ziel
Runde für Runde sind mehr Athleten auf die Strecke gekommen und es hat nach 25 Kilometern auch endlich aufgehört zu Regnen. Der beste Regenmoment für mich auf der Laufstrecke war, dass ich einmal versucht habe dem kleinen Rinnsal auf der Straße auf dem Gehweg zu entkommen, aber dann schnell daran erinnert wurde, dass dies nicht die Laufstrecke ist. Die Streckenposten warne super; nur so bleibt das Rennen fair, wenn alle die gleiche Strecke haben.
Also doch durch das von oben entgegenkommende Wasser. Als ich hier das erste Mal vorbei war habe ich endlich drei bekannte Gesichter gesehen und mich, wie am Bild zu erkennen ist, sehr gefreut. Ich packe das auch sehr gerne hier nochmal in den Blog, weil die super nette Führungsradlerin so schön in @stefandietzes_ Kamera ge“peace“ed hat. Runde 1 und 2 waren wirklich so locker wie es auf den Bildern ausgesehen hat. Kerndevise zurückhalten für die letzte und vierte Runde die Beine konservativ belasten.
In Runde 3 habe ich aber schon gemerkt, wie die Oberschenkel schwerer werden. Vor allem die drei Anstiege fühlten sich nicht mehr so geschmeidig an. Langsam begann also der Fight zwischen Kopf und Körper. Auf diesen Moment haben wir uns im Training bei den Long Runs immer vorbereitet. In jedem Longrun haben wir einmal bei 27, 28 , 29 – wie viel auch immer KM – uns Gegenseitig gesagt, dass es der Punkt ist an dem es erst losgeht. Das perfekte war, dass mein Long-Run Buddy genau bei Kilometer 25 und 28 gestanden war. Er hat mir kurz die Splits durchgegeben (11 Minuten, selbst für einen Ironman sehr komfortabel) und mich nur durch seine Anwesenheit an unser Training erinnert. So ging es auch relativ gut durch Runde 3.
First Man. WOW.
Ein Junge an der letzten Verpflegungsstation hatte einen kleinen Narren an mir und meiner Begleiterin gefressen und da war das Lachen wieder da. Denn jede Runde ist er noch euphorischer auf das Führungsfahrrad abgegangen und hat mir zugerufen „Wow, First Man. You make it“. Runde für Runde. Und immer habe ich versucht zu Lachen und einen Daumen hoch zu geben. Nur in der letzten Runde hat es nicht mehr so gut funktioniert. Grund dafür war, dass ich mich an mein Ziel erinnert habe: Ich will im Rennen alles geben. Ich muss mich für nichts danach schonen und kann an diesem Tag alles rauslegen. Selbst mit 11 Minuten Vorsprung, weil am Ende steht meine Zeit in der Ergebnistliste und nicht der Vorsprung.
Hier ein kleiner Einschub zur Motivation „Quali und Kona-Slot“ und ob ich damit Gerechnet habe zu Gewinnen: Ich wusste, dass ich mit meiner Form eine Zeit um die 8:30 liefern kann. Ich wusste auch, dass es in der Regel weit nach vorne geht und in der AK für einen Kona Slot reichen kann. Aber das war es auch. Mein Ziel war meine Zeit und die Performance am Tag. Ob ich gewinne kann ich nicht vor dem Rennen nicht beeinflussen. Wenn jemand kommt, der eine 8:15h ins Finish bringt bin ich dahinter. Und 8:15 ist ultra Krass und für einen Amateur extrem geile Leistung. Deshalb war mein Ziel „nur“ auf meine Zielzeit und meine Form fokussiert. Was sich dadurch ergibt, ergibt sich immer erst im Ziel. Da hat mein Mentor (Papa) auch einige Zeit an mir arbeiten müssen bis ich das für mich akzeptiert habe. Gewinnen ist mega geil, keine Frage, aber die eigenen, beeinflussbaren Ziele zu erreichen ist realistischer und auch echt genial.
Run-Pace Analyse
Und das habe ich in der letzten Runde mir selbst zeigen wollen. Wie ihr der Strava Grafik entnehmen könnt habe ich auf die letzte Runde bis ins Ziel, vor allem an den Anstiegen nochmal Gas gegeben. Ein paar Kilometer unter 4:00 Min und ein gleicher Split wie die ersten 5km am Ende bis km 40 waren noch drin. Die letzten drei Kilometer bis ins Ziel war dann aber auch der Akku leer und ich war getrieben davon endlich das Ziel zu erreichen. Der Marathon war schon deutlich vorher geschafft und ich bin mit 2:54:19 gut unter meinem Ziel von 4:10er Pace geblieben. Die Uhr für die von Ironman definierten 42.2km blieb nach 2:57:40 stehen und ich war im Ziel. Im Ziel, am Ziel meines Plans und als erster aller über der Ziellinie.
Finish Line des Run Blogposts
Falls ihr mir auf Instagram folgt: Dort habe ich ein Video vom Zieleinlauf gepostet, welches mir die Veranstalter extra haben zukommen lassen. Und wie oft ich diese Drums jetzt schon gehört, die Funkensprüher leuchten und den Nebel die Szenerie für alle Zuschauer verdecken gesehen habe. Und wie oft ich mir das die nächsten Wochen, Monate, Jahre noch ansehen werde. Weil ehrlich: Wie wahrscheinlich ist es, dass ich als Amateur nochmal ein Rennen gewinnen werde. Da muss ich dann schon Cherry-Picking bei der Rennauswahl betreiben.
Das Afterrace packe ich nach diesem bereits sehr langen Text in einen kurzen, weiteren Blog. Ich freue mich, auch jetzt zwei Wochen nach dem Rennen, immer noch, dass sich die lange Vorbereitung, die vielen Stunden auf Rolle, im Arsch-kalten See im Mai und die Winterkilometer durch den Schnee beim Laufen ausgezahlt haben. Aber das Finish übertrifft es dann doch nochmal mehr, als ich mir vor dem Rennen ausgemalt hatte.