Die Laufstrecke. Das Highlight einer jeden Langdistanz. Endlich richtig Zeit, von den echten Supportern am Streckenrand mehr als nur 2 Sekunden auf dem Rad und gar nicht beim Schwimmen angefeuert zu werden. Und den Support habe ich beim Ironman Estland auch gebraucht. Denn der Plan auf dem Rad ist fast ganz aufgegangen: Müde Beine auf der dritten Runde waren das Ziel. Müder als bei den vorherigen Langdistanzen, und müder, als ich mir vor der Vorbereitung zugetraut hätte. Aber die Profis schießen ihre Beine noch mehr an und mein Coach und ich haben in den wichtigen Einheiten dafür Erfahrung gesammelt. Wie gut geht das Laufen noch, wenn ich bereits härter als komfortabel möglich Rad gefahren bin?
Wie sich im Training und jetzt im Rennen herausgestellt hat, ist es sehr gut möglich. Aber von Anfang an. Ich bin nach dem etwas längeren zweiten Wechsel aus T2 rausgelaufen und habe mich erst einmal nur um meinen Frischhaltebeutel gekümmert. Ich habe nach und nach die Gels in die Taschen des Einteilers gesteckt. Dann habe ich die Cap aufgesetzt und die Sonnenbrille obendrauf gesetzt. War wahrscheinlich nicht notwendig, dass ich die Sonnenbrille dabeihatte, aber für den Style war sie dabei. 2021 bei 2.5h Regen hatte ich sie schließlich auch auf. Nach dem ersten Zug meiner 250ml Flask mit drei 75ml/45g Carb Gels wollte ich diese auch in die Einteilertasche stecken, aber das hat so sehr gewackelt und gestört, dass ich die Flask dann immer in der Hand gehalten hatte.
Auf den ersten Kilometern war mein einziger Gedanke: „Ja nicht zu schnell loslaufen. 3:58 pro Kilometer. Das ist die Pace“. Und daran habe ich mich dann auch eisern gehalten. Auf dem ersten Kilometer, der an der Radstrecke entlangging, waren einige Fans. Aber als die Radstrecke aufhörte, wurde es direkt viel, viel dünner. So im Nachhinein betrachtet auch gar nicht schlimm. Ich konnte mich auf der ersten Runde auf mich, mein Gefühl, das Verpflegen und die Pace konzentrieren. Auch der Führungsfahrer hat seinen Job fair und sehr gut gemacht: Immer hinter mir und hat mir auch keinen unfairen Vorteil verschafft, indem er mir den Weg frei gemacht hat. Darum durfte ich mich selbst kümmern.
Man kommt nach 1.5km zurück an die Promenade, die Promenade, die die restlichen gut 8 km der Laufstrecke mit zwei Out-and-Back-Stücken bildet. Runde eins war sehr unspektakulär. Bis auf einen kurzen Chat mit meiner Freundin, welche auf einer Aussichtsplattform entlang der Laufstrecke gewartet hat, weil von dort aus super Bilder gemacht werden konnten. Eines davon seht ihr auch hier im Blogpost. Eigentlich hatte ich auf etwas Informationen über die Laufsplits der Starter hinter mir gehofft, aber es gab bis zu diesem Punkt keine Zeitmessungen und auch auf der ersten Runde gab es insgesamt nur wenige Zwischenzeiten. Der Fuchs Tom hat aber die gleiche Taktik wie beim Radfahren angewendet und beim weitesten Punkt kurz auf die Uhr geschaut: 1min30 mal zwei, also gut 3 Minuten Vorsprung waren es dann in der ersten Runde. Dass die größte Motivation aber noch dahinter war, würde sich erst bei KM 30 zeigen, denn jetzt musste Jack noch einige Plätze erstmal gutmachen.
So gingen die ersten KM rum, die erste Runde vorbei und zum ersten Mal ging es am Ziel vorbei. Auf der zweiten Runde waren dann die ersten Starter, welche ich nach und nach einsammeln konnte. Aber es war immer noch genug Platz, dass ich die meiste Zeit einfach meinen Stiefel runter gelaufen bin. Mittlerweile habe ich an den Verpflegungsstationen einen Schluck Wasser genommen, das in wiederverwendbaren Bechern gereicht wurde. Das finde ich von Haus aus super, aber die dürften gerne auch etwas Knick-Bar sein, da ich so einfach die Hälfte über mich und die Hälfte in den Mund geschüttet habe. Später dann auch mit der Cola so passiert. Es war genug in den Bechern für den Einteiler und mich, so dass es kein Problem war. Vor Runde zwei bin ich auch zum ersten Mal meinem Lauftrainingspartner entgegengelaufen und wir haben uns kurz abgeklatscht, glaube ich zumindest. Oder zumindest kurz angefeuert. Er kam mir entgegen als ich gerade zurück zur Wende gelaufen war. Das war auch im Training an vielen Tagen bei uns im Kopf: Was wenn wir gleichzeitig auf die zweite Runde gehen? Wie gut stehen wir dann im Rennen? Und für uns war klar, dass wenn es so kommt, wie es gekommen ist, wir beide super in der Zeit sind. Weil es für beide dann mit den Splits beim Schwimmen und Radfahren funktioniert hat. Ein weiterer Motivationsschub also. Nicht nur, dass es bei mir lief, sondern auch bei ihm.
Runde zwei ist dann auch schnell erzählt: Out-Back-Out-Back und wieder zurück zur Wende. Und hier kam dann eines der Schlüsselereignisse des Tages: Eine Frau stand mit einem Schild am Straßenrand. In der ersten Runde las ich zwar den Text, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern. In der zweiten Runde stand aber ein Satz, welcher schon sehr mein weiteres Rennen beeinflusst hat: „Remeber your why“. Und das hat in dem Moment so in meinem Kopf etwas, ich kann es gar nicht beschreiben, ausgelöst. Etwas positives. Denn mein warum war nicht der erste Platz, mein warum war alles zu geben und dabei eine PB zu erreichen. Mein Warum bei jedem Wettkampf ist eine so perfekte, professionelle Leistung zu bringen, wie an dem Tag drin ist. Und das sollte dann nach 21km, nach Runde 2 auch so weiter gehen.
Der Fokus war umso stärker da. Gefühlt sind bei 2/3 der Strecke immer meine härtesten Momente. Auf dem Rad war es so. Aber beim Laufen hatte ich mich dann schon vorbereitet. Das Ziel: Wie ein Uhrwerk die Pace zu halten und dabei keine Gedanken an dieses mentale Zweidritteltief. Immer weiter und weiter. Schön Verpflegen und in den Verpflegungsstationen mittlerweile ein Schluck Wasser für mich, einen für den Einteiler und ein Schluck Cola für mich und auch einen für den Einteiler nehmen. Sogar 2-3 Sekunden rausnehmen, um sauber die Becher zu bekommen und dann schnell wieder loszulaufen.
Grob herausgefiltert aus meiner Aufzeichnung sind das die Rundensplits: Runde 1: 41:13, Runde 2: 42:54, Runde 3: 42:24 und Runde 4: 40.56. Die dritte Runde war also genau so konstant wie die ersten beiden. Super in der Range und genau da, wo ich sein wollte. Zum Ende der dritten Runde hat sich dann aber etwas verändert. Ich hab die News bekommen, dass ich keine Zeit mehr auf Platz 2 gutmache, sondern Platz zwei Zeit auf mich gut macht. Und zwar schnell und viel. Gut 10 Sekunden pro Kilometer waren es in den ersten 30 km. Das macht auch etwas mit dem Kopf. In dem Fall hat es einen Schalter umgelegt, welchen ich erst irgendwo in der vierten Runde umlegen wollte: Der Risiko-Schalter beim Laufen.
Wenn der Zweite, für mich Motivations-Jack, sich den Sieg holen will, dann muss er auch leiden. Und ich habe noch etwas im Tank und ich erinnere mich an mein Warum: Meine Zielzeit. Bis dahin bin ich mit einer 3:59 Pace im Schnitt unterwegs gewesen. Bei Kilometer 30 wusste ich, wie geschrieben, dass ich etwas Gas geben musste. Bei der Wende am Ziel stand ein weiterer Bekannter und rief mir zu: „Der lief den letzten Split auf 3:56“. Das war dann der Moment, in dem ich dachte: 3:56, das hab ich auch noch drauf. Also Abfahrt. Und die Abfahrt wann dann deutlich. Von T2 weg bin ich das leicht abschüssige Stück in 3:45 gelaufen. Danach im Flachen habe ich 3:48 gehalten. Hier stand auch ein supernettes Paar, das mich auch jede Runde angefeuert haben und kamen mit dem Klassiker „Last One, Fast One“. Und wie „fast“ dachte ich mir. Zwischen durch war der ein oder andere KM, vor allem die mit den Verpflegungsstationen wieder zurück auf 3:58 oder 4:00, aber mehr habe ich nicht zugelassen. Remember your why und du bist hier hergekommen eine schnelle Zeit zu machen. Es war noch nicht der All-In-Risiko Plan, aber schon deutlich schneller als gedacht.
An der ersten Wende auf der Strecke, nach etwa 33/34km habe ich dann wieder die Uhr gecheckt und mich an die Splits der ersten Runde erinnert. Dort waren es 3 Minuten Vorsprung, als ich den da noch zweiten gesehen habe. Aber der jetzige zweite, Jack, supernetter Typ und sehr, sehr guter Läufer, war noch nicht an derselben Marke vorbei. Ich habe also meinen Vorsprung, welcher laut Tracker 3 Minuten 43 Sekunden runter gegangen ist, wieder etwas aufgebaut. Und ich wollte es jetzt wirklich wissen. Das Notfall-Gel habe ich bei KM 36 noch genommen: Sicher ist Sicher und schaden tut es nicht.
Jetzt wurde die Atmung aber schon schwer und soweit ich für mich wahrgenommen habe, auch lauter und bestimmter. Ich musste nur noch einmal zum zweiten Wendepunkt, welcher ein paar Höhenmeter hatte. In den ersten drei Runden ist hier die Pace immer auf über 4:10 runter gegangen. Aber jetzt wollte ich es mir selbst nochmal beweisen und zeigen, dass ich alles rausholen kann. 4:00. Nicht langsamer laufe ich da hoch. Der Kilometer mit dem Anstieg: 3.59. In der letzten Runde war kein Kilometer langsamer. Und den Schwung, den Berg hinunter, habe ich dann auch mitgenommen auf die letzten drei Kilometer. 3:50, 3:48 und vollkommen von Endorphinen durchdrungen habe ich irgendwie noch knapp 700m in 3:38 Pace rausgedrückt bekommen. Wirklich erst auf dem Weg zum Zielbogen habe ich dann etwas rausgenommen. Aber nur minimal, weil es ging mir um meine Zielzeit.
Dass am Ende 08:05:39 auf der Uhr stand, wusste ich erst als die Sprecherin das durchgesagt hat. Krasse Zeit. Aber für mich hat das LED-Banner für den ersten nämlich genau gar nichts angezeigt. Nur mein letzter Check bei KM 38 der Uhr stand bei 7:48 und mit etwas mehr als 4 Kilometern dürfte ich mein Ziel einer PB und auch das Ziel meiner „realistischen“ Zielzeit-Planung von 8 Stunden 8 Minuten schaffen.
Die erste Gratulantin war die Chefin der Planung des Ironman Estland, die mit ihrem Team an dem Tag, trotz oder vielleicht wegen der 3 Stunden Verschiebung, ein mega schnelles Rennen für mich, für 1000 andere und für alle 70.3 Starterinnen am nächsten Tag auf die Beine gestellt hat. Danach meine Freundin und dann vier Interviews nacheinander. Eins direkt auf der Finishline und dann zwei Mal Fernsehen und einmal Ironman. Irgendwie war die Sprache dann nicht nur wegen der Zeit, sondern auch wegen des Redens weg. Darauf habe ich mich absolut nicht vorbereitet, aber wer noch sehen will, wie ich mich dabei geschlagen habe: Ironmanil üheksandaks jäänud Läänemets: minu jaoks oli ilm ideaalne! | Triatlon | ERR
Am Ende hat es deutlich gereicht, da Jack in der vierten Runde langsamer wurde, während ich noch zulegen konnte. Mein zweiter Sieg in Estland, das zweite Mal in persönlicher Bestzeit und das zweite Mal unglaublich zufrieden mit dem Tag. Es war kein perfektes Rennen, aber wenn die Sachen, welche ich jetzt noch besser hätte machen können, besser gemacht hätte, dann wären sicher ein paar andere Dinge nicht so gelaufen. Demnach war das so nah am perfekten Rennen, wie es für mich realistisch möglich ist. Von meiner Form, von den Bedingungen und vom Ergebnis.
Und zum Abschluss dieser Serie noch ein großes Danke an meine Freundin, welche die wilden Monate der Vorbereitung mitgemacht und an vielen Sonntag auf mich verzichtet hat. Oder auch beim Wettkampftest-Tag zwei Stunden im Regen meinen Lauf begleitet hat. An meinen Coach, der mich seit mittlerweile acht Jahren unterstützt. Mit Trainingsplänen, mit mentalem Support, mit Schrauber-Unterstützung und vor allem mit seiner wertvollen Zeit. Danke auch an meinen Run-Buddy, welcher mit 8:57 auch eine PB geholt hat und nächstes Jahr auf Kona starten darf. (Obwohl er mir das ganze Jahr lang nicht glauben wollte, dass er Sub 9 schafft.)
Und danke auch an alle Supporter, welche alles möglich machen, dass so ein Tag funktioniert. Zum einen Familie und Freunde, mit Verständnis, wenn ich mal wieder um 10 ins Bett will. Das Team vom Ironman Estland, welches mir den Startplatz gesponsert hat und das super Rennen auf die Beine gestellt hat. Der RSC Kempten und die Supporter drum herum, die mich in den letzten Jahren auch mit Material gesponsert haben. Und zum Abschluss auch danke an euch, die ihr meinen Blog lest, mich im Tracker verfolgt und meine langen, ausführlichen Berichte lest.
Mal sehen, was 2026 bringt. Kona wird es auf jeden Fall nicht 😉